Der Leipziger Fußballtrainer Alfred Kunze ging als Vater des "Wunders von Leipzig" (Libero Deutsch, Nr. 15/1998) in die Fußballgeschichte der ehemaligen DDR ein. Kunze, "der feine Fußballkenner und Taktiker mit leiser Stimme" (FAZ, 6.6.1995), zeichnete dafür verantwortlich, dass er zum Frust und Leidwesen der Funktionäre des DDR-Fußballs die zweite Garnitur der Kicker der Messestadt bei Chemie Leipzig zu einer schlagkräftigen Mannschaft formierte und nach nur einem Jahr 1964 mit dem "Rest von Leipzig" (Fußball in der DDR 1945-1989) die Landesmeisterschaft gewann.
Laufbahn
Alfred Kunze wuchs in Stötteritz auf, einem im Südosten der Messestadt Leipzig gelegenen Stadtteil. Zwischen 1926 und 1933 spielte er beim Arbeitersportverein VfL Südost Leipzig. Von Anfang an war "Läufer" seine Lieblingsposition. Als nach dem Machtantritt der Nazis alle Arbeitersportvereine verboten wurden, wechselte Alfred Kunze 1934 zu Wacker Leipzig, wo er sich gemeinsam mit seinem Bruder als Kunze I und Kunze II einen Namen machte. Gegen bekannte und erfolgreiche Vereine wie den VfB Leipzig, Tura Leipzig, aber auch den Dresdner SC demonstrierte er sein fußballerisches Können, auch wenn er mit seinen Mannschaftskameraden keinen Titel gewinnen konnte. Ein komplizierter Beinbruch zwang ihn 1938, seine Karriere als Spieler zu beenden. Kunze, der von 1929 bis 1933 ein Lehrer-Studium absolviert hatte, unterrichtete später an der Volksschule.
Doch der Fußball ließ Alfred Kunze nicht los und so übernahm er das Traineramt bei Wacker Leipzig. 1941 beendete der Krieg jedoch dieses Engagement. Kunze wurde zur Wehrmacht eingezogen und geriet auf Sizilien in englische Kriegsgefangenschaft, aus der er 1948 entlassen wurde. In seine Heimatstadt Leipzig zurückgekehrt, wandte er sich sehr schnell wieder dem Fußball zu und übernahm das Training des neu entstandenen Vereins TSG Leipzig-Stötteritz.
Im Dezember 1949 nahm Alfred Kunze am ersten Fußball-Übungsleiterlehrgang in der neu gegründeten DDR teil. Im Juli 1950 wurde er Mitglied des Fachausschusses Fußball im deutschen Sportausschuss (DS) der DDR. Nach der Gründung der DDR und der Einführung der DS-Liga (spätere Oberliga) wurde auch der Aufbau einer DDR-Fußballnationalmannschaft forciert. Alfred Kunze, zwischen 1950 und 1952 Trainer im Deutschen Sportausschuss, betreute in dieser Funktion auch die A-Auswahl der DDR, die 1951 in Berlin (0:3) und Leipzig (1:4) gegen Polen (inoffizielle Länderspiele) spielte.
Im Oktober 1950 war in Leipzig die DHfK (Deutsche Hochschule für Körperkultur) als zentrale Lehr- und Forschungsstätte der DDR für die Ausbildung von Diplomsportlehrern und Trainern in Leipzig eingeweiht worden. Alfred Kunze arbeitete dort bis 1952 als Dozent für den Bereich Theorie und Praxis des Fußballs, erwarb sich bei der Entwicklung des DDR-Fußballs große Verdienste und wurde zu einem Vorbild für die jüngere Trainergeneration.
Im Januar 1953 übernahm Alfred Kunze die Oberligamannschaft Vorwärts Leipzig. Sein erstes Oberligaspiel endete vor 30.000 Zuschauern im Ortsderby gegen Chemie Leipzig mit einer 1:2-Niederlage. Noch vor Saisonende wurde Vorwärts, die Mannschaft der Kasernierten Volkspolizei, nach Berlin "'transplantiert', weil in Leipzig die Sympathien den 'Chemikern' galten" (Libero Deutsch, Nr. 15/1998). Aber auch mit dieser Maßnahme konnte der Abstieg der Vorwärts-Mannschaft nicht verhindert werden. Alfred Kunze kehrte in seine Heimatstadt zurück und betreute in der Saison 1953/54 selbst die Chemie-Elf, die er zum Vizemeistertitel führte.
Die Saison 1954/55 stand im Zeichen gravierender Umwälzungen im DDR-Fußball, denn von der Sportführung war die Bildung von Sport-Clubs (SC) angeordnet worden. Chemie Leipzig wurde aufgelöst, als Nachfolger nahm der SC Lokomotive Leipzig am Spielbetrieb teil. Zum Trainer der Mannschaft, in die zahlreiche Spieler auch von Chemie Leipzig delegiert worden waren, wurde Alfred Kunze berufen. Die Elf bot eine schlechte Saisonleistung und belegte am Ende der Meisterschaft Rang 11.
Als Folge davon wurde Trainer Alfred Kunze und der Regisseur der Mannschaft, der spätere DDR-Nationaltrainer Dr. Rudolf Krause, zu Lokomotive Weimar, das zwei Klassen tiefer spielte, "strafversetzt" (a. a. O.). Kunze aber bewies, welche Trainerpotenzen in ihm steckten: Am Ende der Saison waren die Weimaraner Staffelsieger der 2. DDR-Liga und damit Aufsteiger in die zweithöchste Spielklasse der DDR. Nach einem kurzen Intermezzo in Halle kehrte Kunze 1958 wieder nach Leipzig zurück, wo bis 1963 den Trainerposten bei Lok übernahm. Beste Resultate in dieser Zeit waren der Einzug ins DDR-Pokalfinale 1958 (Niederlage gegen Einheit Dresden in der Verlängerung) sowie der dritte Platz in der Meisterschaft 1960.
Der Sommer des Jahres 1963 war für den Leipziger Fußball mit tiefgreifenden Veränderungen verbunden. Die vermeintlich besten Spieler der beiden Leipziger Oberligavereine (SC Lokomotive und SC Rotation) wurden beim neu gegründeten SC Leipzig vereinigt, der Rest zur Betriebssportgemeinschaft (BSG) Chemie Leipzig abgeschoben, die in den Jahren zuvor nur in einer unteren Spielklasse gespielt hatte. Trainer bei den "Chemikern" wurde Alfred Kunze. Kunze aber gelang das Husarenstück. Mit der zweiten Garnitur des Leipziger Fußballs wurde er im Jahr 1964 DDR-Meister.
Für den Trainer war die Meisterfeier im heimischen Georg-Schwarz-Sportpark eine seiner glücklichsten Stunden. Kunze gelang dieser Erfolg, der als das "Wunder von Leipzig" in die DDR-Fußballgeschichte einging, mit bis dato nahezu namenlosen Spielern. Erst durch den Titelgewinn rückten die Aktiven der Mannschaft ins Licht der Öffentlichkeit, kamen zu Nationalmannschaftsberufungen. Mit Manfred Walter, Klaus Lisiewicz und Dr. Bernd Bauchspieß waren drei Leipziger "Chemiker" am Gewinn der Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen in Tokio 1964 beteiligt - für den DDR-Fußball war das der bis dato größte Erfolg.
In seiner Trainertätigkeit setzte Alfred Kunze stets auf Gerechtigkeit. Er kämpfte gegen Inkompetenz, wurde kaum laut und vermittelte sein umfangreiches Wissen über Strategie und Taktik überzeugend. Er war sowohl Respektsperson als auch Pädagoge und väterlicher Freund zugleich. Bei der Formierung seiner Mannschaft ging er davon aus, dass eine erfolgreiche Elf nur mit einer souveränen Abwehr aufgebaut werden kann. Auch in den dem Meisterschaftsgewinn folgenden zwei Jahren konnte Alfred Kunze mit Platz 3 in der Meisterschaft (l964/65) und dem Gewinn des DDR-Pokals (1966) seine erfolgreiche Arbeit fortsetzen. Auch über die Grenzen der DDR hinaus war man auf Kunze aufmerksam geworden. Bremerhaven wollte ihn verpflichten. 900 DM plus Punktprämie zuzüglich 4,5 Pfennig pro Zuschauer sollten gezahlt werden. Doch der Vertrag kam nicht zu Stande. Auslandsangebote, wie beispielsweise das aus Tunesien, konnte er wegen seiner nur bedingten Tropentauglichkeit nicht annehmen.
Im Mai 1967 beendete Alfred Kunze auf eigenen Wunsch seine Trainertätigkeit. Vom Fußballsport verabschiedete sich Alfred Kunze jedoch nicht. Im wissenschaftlichen Zentrum des Deutschen Fußball-Verbandes der DDR (DFV) in Leipzig setzte er seine Arbeit fort. Neben zahlreichen Beiträgen zur Theorie und Praxis des Fußballs veröffentlichte er 1977 sein Lehrbuch "Fußball", erstellte zahlreiche Lehr- und Ausbildungsprogramme und bildete viele ausländische Trainer aus. In Vorbereitung auf die WM 1974 beobachtete er für den DDR-Fußballverband die möglichen Gruppengegner, um deren Spielweise und Taktik zu studieren. Während der WM reiste er in die Bundesrepublik und bereitete die Spiele mit Analysen und Kommentaren für das DDR-Fernsehen auf. Die DDR-Sportführung ehrte ihn für seine Leistungen mit dem Titel "Verdienter Meister des Sportes" .
Die größte Anerkennung wurde dem damals 82-jährigen Alfred Kunze im Mai 1992 zuteil, als in seinem Beisein der Georg-Schwarz-Sportpark, die traditionsreiche Heimstätte seines ehemaligen Vereins, der seit 1990 unter dem Namen Sachsen Leipzig spielt, in "Alfred-Kunze-Sportpark" umbenannt wurde. Auch im hohen Alter verfolgte Kunze regelmäßig die Heimspiele der Mannschaft. Alfred Kunze, der nach dem frühen Tod seiner ersten Frau Herta (1976) nochmals heiratete, lebte seit 1992 in einem Seniorenheim in Leipzig-Lößnig. Er verstarb am 19. Juli 1996 in seiner Heimatstadt Leipzig.
Karriere in Zahlen
Stationen als Spieler:
1926 - 1933: |
VfL Leipzig-Südost |
1934 - 1938: |
SC Wacker Leipzig |
Stationen als Trainer:
1940 - 1941: |
SC Wacker Leipzig |
1948 - 1950: |
TSG Leipzig-Stötteritz |
1951: |
DDR-Nationaltrainer |
1950 - 1952: |
Trainer-Ausbilder an der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig |
1953: |
KVP Vorwärts Leipzig |
1953 - 1954: |
Chemie Leipzig |
1954 - 1955: |
SC Lokomotive Leipzig |
1955 - 1956: |
Lokomotive Weimar |
1957: |
SG Wissenschaft Halle |
1958 - 1963: |
SC Lokomotive Leipzig |
1963 - 1967: |
Chemie Leipzig |
1967 - 1976: |
Dozent am Wissenschaftlichen Zentrum des DFV der DDR |
Erfolge als Trainer:
DDR-Meister 1963/64 |
DDR-Vizemeister 1953/54 |
DDR-Pokalsieger 1966 |
DDR-Pokalfinalist 1958 |
Ehrungen:
Ostdeutscher Trainer des Jahrzehnts (1945-1960) |
Verdienter Meister des Sports |
(ph) |