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Britta Teckentrup, geboren am 2. 6. 1969 in Hamburg, lebt in Berlin.
Von 1971 an in Wuppertal aufgewachsen. Nach dem Abitur 1988 Studium in London, erst am Harrow College of Higher Education (Foundation Course), 1989–92 am Central Saint Martins College of Art and Design (Illustration; Bachelor). 1990 zwei Monate Gaststudentin am National College of Design, Dublin. 1992 erster Auftrag für eine Kinderbuchillustration. 1994–96 Studium von Kunst und Grafik am Royal College of Art, London (Master). 1995 drei Monate Artist in Residence in der Cité Internationale des Arts, Paris. 1997 erscheint das erste Buch mit eigenem Text (»Rumble in the Jungle«). Parallel zu den Arbeiten als freie Künstlerin, die Teckentrup in verschiedenen Ausstellungen zeigt (u. a. 2003–10 in der James Freeman Gallery, London), erscheinen in Großbritannien kontinuierlich illustrierte Kinderbücher. Außerdem arbeitet sie für verschiedene Zeitschriften, Magazine und das Fernsehen (BBC). 2005 Rückkehr nach Deutschland. 2010 Beginn der Zusammenarbeit mit dem Verlag Jacoby und Stuart, Berlin, 2014 mit der arsEdition, München, und 2016 mit dem Verlag Prestel. 1994–2005 Lehraufträge an englischen Universitäten und Hochschulen wie Central Saint Martins und der Middlesex University. Seitdem Workshops für Kinder in verschiedenen Institutionen, u.a. organisiert vom Goethe-Institut, dem Edinburgh Book Festival, dem Hay Festival und dem Bath Festival.
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»Was wird wohl aus mir werden?« ist eine der vielen Fragen in dem Buch »Worauf wartest du?« (2016) von Britta Teckentrup, eine andere »Kann ich nach den Sternen greifen?« Die erste hätte sie als Schülerin und auch noch später sicher anders beantwortet als heute. Schon in der Kindheit waren Stift und Papier ständige Begleiter, im Gymnasium setzte sie dann mit Freunden einen Kunst-Leistungskurs durch, den es vorher in der Schule noch nicht gegeben hatte. Im Abitur wurde Teckentrup in den Fächern Biologie, Kunst, Englisch und Philosophie geprüft. Alle sollten in ihrem späteren Leben eine Rolle spielen. Hinzu kam der Tanz, der in Wuppertal, wo die gebürtige Hamburgerin aufwuchs, durch Pina Bausch geprägt war. Bei deren Aufführungen stand sie an für günstige Restkarten, nahm aber auch selbst Tanzunterricht.
Nach dem Abitur entschloss sich Teckentrup, gemeinsam mit einer Freundin nach Großbritannien zu gehen, um dort zu studieren. Der Foundation Course bot die Möglichkeit, verschiedene Studiengänge auszuprobieren, was sie auch tat. Die Beschäftigung mit Fotografie, Film, Grafik, Malerei, Mode, Schmuckdesign und Skulptur führte zu dem Entschluss, am Saint Martins College of Art and Design in London den Bachelor-Studiengang Illustration zu belegen, um sich dann im Masterstudium der freien Kunst zuzuwenden mit dem Vorsatz, anschließend als freie Künstlerin zu arbeiten. Doch schon in der Abschlussausstellung, auf der die Absolventen ihre Arbeiten präsentierten, kam eine Verlegerin auf sie zu und bot ihr einen Vertrag an. Das war 1992. Zwei Jahre später erschien ihr erstes Bilderbuch »Coyote Makes Man« (1994), eine altamerikanische Legende, nacherzählt von James Sage. Die Geschichte vom Kojoten, der alle Tiere befragt, wie sie sich den Menschen vorstellen, dann aus allen Antworten die besten Charakteristika herausfiltert und dieses Wesen schließlich mit der Sprache ausstattet, illustrierte die angehende Künstlerin schon in sehr ähnlicher Weise wie ihre heutigen Bücher, nur, dass der Computer noch keine Rolle spielte. Sie bedruckte Papiere mit verschiedenen Farben und Mustern und schnitt dann Formen mit der Nagelschere aus, um sie zu Collagen zusammenzufügen. Jede Doppelseite stellt dabei eine in sich abgeschlossene Einheit dar, in der ein Tier dem Kojoten die Dinge aufzählt, die der Mensch besitzen soll. Schrift und Illustration sind nicht klar voneinander getrennt. Bei der Erschaffung des Menschen (Abb. 1) am Ende des Buches steht der Kojote vor einer aus lauter hohen schmalen Hügeln zusammengesetzten Parade. Auf den Hügeln befinden sich als Bekrönungen verschiedene Körperteile wie Hand, Fuß und Gesicht, vor allem aber Herzen und größere und kleinere Kreise, die wohl die inneren Werte wie Liebe und Weisheit darstellen. Die Hügel selbst sind teilweise gestreift und besetzt von Augen, Ohren, Zähnen, aber auch Händen. Auf dem höchsten steht der Mensch als gelbe Silhouette, noch gesichtslos, ohne Hände, Füße und Haare.
Als das Buch 1995 in den USA erschien, erhielt es den für Monat April vergebenen Stern der Zeitschrift Kirkus Reviews, eine Auszeichnung, die vielen weiteren Büchern von Teckentrup zuteilwurde, darunter auch ihrem ersten Buch mit eigenem Text »Rumble in the Jungle« (1997), obwohl in der Rezension der starke Abstraktionsgrad kritisiert wurde, der für kleinere Kinder nicht geeignet sei (online unter: www.kirkusreviews.com/book-reviews/britta-teckentrup/rumble-in-the-jungle/). In diesem Werk löst ein Streit zwischen Giraffe und Affe einen riesigen Krach im Dschungel aus, weil sich die anderen Tiere solidarisieren, teils mit der Giraffe, teils mit dem Affen, sodass sich am Ende zwei Parteien bekämpfen.
In den nächsten zehn Jahren war die Illustration für Teckentrup Broterwerb. Ihr Hauptaugenmerk lag auf der freien Kunst. Erst später stellte sie fest, dass sie die Verbindung von Bild und Text doch stärker faszinierte, dass das Buch ihr Medium sei. Nach Jahren in London und Surrey zog sie mit Mann und Sohn nach Berlin. Dort arbeitete sie nach wie vor ausschließlich für englische Verlage, wobei sich die Illustrierungen für andere Autorinnen bzw. Autoren und Bücher mit eigenen Texten die Waage hielten. Zu ihnen gehörten »How Big is the World« (2007) und »Grumpy Cat« (2008; Abb. 2), Bücher, die später auch auf Deutsch erschienen. Sie sind stärker dem traditionellen Bilderbuch verpflichtet, weisen aber schon tendenziell in die Richtung, die Teckentrup später wieder einschlug.
Der Kontakt mit Edmund Jacoby und Nicola Stuart, die 2008 den Verlag Jacoby & Stuart gegründet hatten, war ein Glücksfall, wie sich später herausstellte. In mehreren Wimmelbüchern, die das Leben an einem Tag in der Stadt, auf dem Bauernhof, aber auch am Hafen und auf der Baustelle thematisieren (Abb. 3), arbeitete Teckentrup zwar auch mit dem Collageprinzip, doch waren die Figuren und Formen farblich immer noch klar voneinander abgegrenzt, ebenso in dem 2012 erschienen Pappbilderbuch »Lauf nach Haus, kleine Maus«, in dem ein schwarzer Hintergrund die Farben zum Leuchten bringt.
Ein paar Projekte später, bei der Planung für das Wetterbuch, das ursprünglich als vier kleinere Bücher über düstere Wetterphänomene wie Sturm und Nebel angedacht war, schlugen die Verleger ihr vor, von dem kleinen Kind als Gegenüber zu abstrahieren und das zu machen, was sie wolle, also frei zu arbeiten. Und so druckte sie auf verschieden strukturierten Papieren unterschiedliche Farben. Öl und Acryl eignen sich ganz besonders gut, verschiedene Effekte zu erzielen, denn für die Bilder benötigt sie kräftige, leuchtende, aber auch matte Farben, transparente ebenso wie opake. Diese Papiere, die früher mit der Schere ausgeschnitten wurden, werden jetzt am Computer bearbeitet.
»Alle Wetter« (2015) wurde das erste von Teckentrups Büchern, in denen sich ein Sachthema mit künstlerisch gestalteten Bildern zu einer faszinierenden Einheit verbindet. Einerseits finden sich darin informative Texte, die mit einer aufwändigen Recherche verbunden sind und bei denen Teckentrup ihr vielfältiges Interesse unter Beweis stellt, das sich schon in der Schulzeit in Schwerpunkten wie Biologie zeigte. Andererseits werden die Informationen durch Bilder ergänzt, die auch für sich stehen könnten und bei denen der Einfluss so verschiedener Künstler wie William Turner, Claude Monet und David Hockney spürbar ist, die sie explizit im Vorwort des Buches nennt. Allerdings bezieht sich die Nennung nicht unbedingt auf das Gesamtwerk, sondern eher auf Bilder, in denen Naturphänomene sichtbar sind wie etwa in den späten Gemälden von Turner. Hinzu kommen für Teckentrup als wichtige Impulsgeber Edvard Munch und der zeitgenössische schottische Maler Peter Doig. Und so unterschiedlich wie die genannten Künstler und deren Werke sind, so verschieden sind auch die Bilder in dem Wetterbuch, je nachdem, ob es sich um einen von der Sonne beschienenen Himmel (Abb. 4), einen heftigen Regenschauer (Abb. 5), eine Schneelandschaft (Abb. 6) oder ein großes Donnerwetter handelt.
Der »Überschneidungsbereich von Natur und Kunst« (Kayser 2018) findet sich seitdem in den meisten Büchern von Teckentrup. Viele sind bei Prestel parallel auf Deutsch und Englisch erschienen wie »Das Ei« (2017) oder »Die Feder« (2018; Abb. 7), die beide ihr Interesse an der Biologie ebenso unter Beweis stellen wie ihre Variationsbreite in der Illustration. Neben Seiten mit vielen verschiedenfarbigen Eiern, dem Aufbau eines Eis oder der Entwicklung des Kükens im Ei finden sich auch Bilder, bei denen die Tarnfarbe des Eis quasi als Bildgeschichte vor Augen geführt wird (Abb. 8).
Teckentrup gelingt es nicht nur, die Grenzen zwischen freier Kunst und Illustration zu überwinden, sie lässt sich auch nicht auf eine Klassifizierung als Sachbuchautorin und -illustratorin reduzieren. Das beweisen Bücher wie »The Memory Tree« (2013), in dem sie vom Tod eines geliebten Wesens erzählt, und das eingangs erwähnte »Worauf wartest du?«, in welchen philosophische Fragen über das Leben mit Bildern verbunden werden, in denen die Figuren häufig mit dem Rücken zu den Betrachtern dargestellt sind und damit dieselbe Position wie sie einnehmen. Durch den Verzicht auf Gesichtszüge werden sie außerdem leichter zu Identifikationsfiguren. Manche Bilder kommen ganz ohne Personen aus, wie dasjenige zu »Kann ich nach den Sternen greifen?«, auf dem in einer nächtlichen Waldlandschaft eine Leiter geradewegs in den Himmel führt (Abb. 9).
Zwei Jahre später erschien das Buch »Die Schule« (2018), das aus Sicht einer Sechstklässlerin vom Schulalltag erzählt. Jetzt individualisierte Teckentrup die einzelnen Schülerinnen und Schüler durch Gesichtszüge, die auch zeigen, dass sie ursprünglich aus verschiedenen Ländern stammen (Abb. 10). Diese Vielfalt zeigt sich auch im Schulalltag, der durch Freundschaft und Ausgrenzung, Erfolg und Misserfolg, Solidarität und Feindschaft geprägt ist. Die oft nur kurzen Sätze bilden mit den häufig großformatigen Bildern eine Einheit und sind nur gemeinsam erfahrbar.
Erschienen anfangs nur wenige Bücher pro Jahr, hat Teckentrup seit 2012 über 90 publiziert. Pappbilderbücher für die ganz Kleinen, Geschichten für die etwas Größeren, deren Texte meistens gereimt sind, Sachbücher, die Kindern und Eltern gleichermaßen Informationen liefern und deren Bilder noch einmal ganz andere Sehweisen ermöglichen. Hinzu kommen Illustrationen von Texten anderer Autorinnen und Autoren wie zu Thomas Hardings »The House by the Lake« (2020), das die wahre Geschichte eines Gebäudes erzählt, das die deutschen Vorfahren des Autors sich 1927 am Glienicker See bei Berlin als Sommerhaus gebaut hatten und das dieser fast hundert Jahre später vor dem Verfall retten konnte. Hardings ausführlicher literarischer Bericht über diese Geschichte (»Sommerhaus am See«, München 2018), wird ergänzt durch ein Bilderbuch für Kinder, das, natürlich wieder mit doppelseitigen Illustrationen, die Atmosphäre in unterschiedlichen Zeiten einfängt. So ist zu Beginn das Holzhaus mit seinen blauweißen Fensterläden zu sehen, wie es oberhalb des Sees steht, von blühenden Bäumen und Büschen und einer Wiese umgeben, zusammen mit der Familie (Abb. 11). Es könnte sich auch um eine Fotografie handeln, wären da nicht die unterschiedlichen Texturen und die für Teckentrup so typische Collagetechnik. Im Gegensatz dazu steht die Bedrohung durch die Fliegerangriffe im Zweiten Weltkrieg (Abb. 12). Vor einem schwarzen Himmel, der sich an einigen Stellen feuerrot färbt, fliegen Bomber in Richtung Berlin. Das ebenfalls dunkle Haus scheint sich zu ducken, die meisten Bäume und Sträucher haben ihre Blätter verloren. Die Schrecknisse des Krieges sind vor allem durch das Bild spürbar. Hier verschwimmt wieder die Grenze zwischen Sachbuch und Erzählung, findet sich erneut ein »Überschneidungsbereich«, der auch im 2021 erschienenen Buch zu beobachten ist, das »Von Raben und Krähen« handelt.
Kunst entsteht nicht im luftleeren Raum, Einflüsse spielen immer eine Rolle. Nicht nur die bereits genannten Künstler, auch andere haben mit Sicherheit bei der Entwicklung von Teckentrups Illustrationen eine Rolle gespielt. Zu ihnen gehören Eric Carle und Wolf Erlbruch. Dennoch ist daraus etwas sehr Originäres entstanden, das bereits im ersten Bilderbuch angelegt war, sich dann aber erst ab etwa 2015 wirklich entfalten konnte. Der Künstlerin Britta Teckentrup ist erst zusammen mit der Buchillustratorin der Griff nach den Sternen gelungen.
Susanna Partsch
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Abb. 1 © Britta Teckentrup; Abb. 2 © Britta Teckentrup / Boxer Books Limited, London; Abb. 3–6, 9–12 © Britta Teckentrup / Verlagshaus Jacoby & Stuart GmbH, Berlin; Abb. 7–8 © Britta Teckentrup / Prestel Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München / London / New York
1 Coyote Makes Man, 1994
2 Grumpy Cat, Cover, 2008
3 Das 24-Stunden-Wimmelbuch. Auf der Baustelle ist was los, 2012
4 Alle Wetter, Sonnenhimmel, 2015
5 Alle Wetter, Regen, 2015
6 Alle Wetter, Schnee, 2015
7 Die Feder, Cover, 2018
8 Das Ei, 2017
9 Worauf wartest du? Das Buch der Fragen, 2016
10 Die Schule, 2018
11 Sommerhaus am See, 2020
12 Sommerhaus am See, 2020