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Tino Schwierzina

deutscher Wirtschaftsjurist und Politiker; Oberbürgermeister von Ost-Berlin (1990/91)
Geburtstag: 30. Mai 1927 Königshütte
Todestag: 29. Dezember 2003 Berlin
Nation: Deutschland - Bundesrepublik

Internationales Biographisches Archiv 09/2004 vom 28. Februar 2004 (gi)


Blick in die Presse

Herkunft

Tino Antoni Schwierzina wurde in Königshütte (Kralowska Huta) im damaligen Oberschlesien geboren. In seiner Familie gab es neben polnischen auch italienische Vorfahren.

Ausbildung

Sch. besuchte ab 1933 in Magdeburg die Schule und studierte dann im geteilten Nachkriegsdeutschland an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin (DDR) bis 1953 Rechtswissenschaften. In dieser Zeit war er kurz Mitglied der sozialistischen Jugendvereinigung FDJ.

Wirken

Außer der Mitgliedschaft in der Einheitsgewerkschaft FDGB und den Betriebskampfgruppen vermied Sch. in seinem Berufsleben den Eintritt in eine Partei, konnte aber gleichwohl als befähigter Wirtschaftsjurist in größeren Großhandelsbetrieben, z. B. in der Fischwirtschaft, als Justitiar in Berlin arbeiten, u. a. auch im Staatlichen Getränkekontor, in der Firma Bärensiegel und der Weingroßkellerei. Mit dem Staatssicherheitsdienst ("Stasi") des sozialistischen Regimes in der DDR kam Sch. wegen des Vorwurfs der Beihilfe zur Republikflucht der Familie seiner späteren Frau in Berührung und wurde zu einer Gefängnisstrafe von einem halben Jahr mit Bewährung verurteilt.

Noch vor dem Zusammenbruch des Regimes und der Öffnung der innerdeutschen Mauer im Nov. 1989 gehörte Sch. zu den Gründungsmitgliedern der SPD (anfangs: "SDP") der DDR. Die neue Partei suchte bald angesichts des Tempos der politischen Entwicklung engste Kontakte zur SPD in der Bundesrepublik und Berlin. Bei den Volkskammerwahlen am 18. März 1990 erreichte die SPD zwar DDR-weit nur 21,76 %, in Ost-Berlin jedoch 34,95 %. Für die Kommunalwahlen am 6. Mai 1990 stellte die Partei Sch. als Spitzenkandidaten auf. Den Wahlkampf führten Sch. und seine Freunde in engem Schulterschluss mit der West-Berliner SPD und dem damaligen Regierenden Bürgermeister Walter Momper. Momper und Sch. traten bei Pressekonferenzen und Wahlveranstaltungen als "die beiden Unzertrennlichen" gemeinsam auf, die Landesgeschäftsstelle in Westberlin organisierte den Wahlkampf. Am 6. Mai konnte die SPD mit 34,03 % ihre Position als stärkste politische Kraft im Ostteil der Stadt klar behaupten. In Ost-Berlin war der langjährige SED-Oberbürgermeister Krack wegen seiner Mitverantwortung an den Wahlfälschungen der Kommunalwahl 1989 bereits im Febr. 1990 abgelöst worden.

An sich tendierte Sch. in Richtung einer Koalition mit dem aus der oppositionellen Bürgerrechtsbewegung hervorgegangenen "Bündnis '90", das aber auch bei den Kommunalwahlen enttäuschend schlecht abschnitt. So entschied sich Sch. für eine "Vernunftehe" mit der CDU. Seine Absicht, einige West-Berliner Senatoren in Personalunion in den Ostberliner Magistrat zu holen, stieß zunächst auf breiten Widerstand. Am 30. Mai 1990 wählte das Stadtparlament Sch. mit 74 von 134 Stimmen in sein neues Amt.

Zusammen mit Walter Momper arbeitete Sch. zügig an der Vereinigung beider Stadthälften ("So schnell wie möglich, aber so behutsam wie nötig"). Zum 1. Juli 1990 wurden die Straßensperren und die Kontrollen an der Grenze aufgehoben. Die lange Zeit geschlossenen U- und S-Bahnhöfe in Ost-Berlin wurden zum gleichen Termin für die Bewohner und Gäste Berlins geöffnet. Anfang Sept. 1990 war bereits die Hälfte der Berliner Mauer abgerissen. In der Hauptstadtfrage plädierte Sch. verständlicherweise mehrfach für Berlin als Regierungssitz. Nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung (formeller Beitritt der DDR zur Bundesrepublik am 3. Okt. 1990) wurde Sch. in seiner Funktion als Ost-Berliner Oberbürgermeister Mitglied des Bundesrates.

Zeitgleich mit den ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen am 2. Dez. 1990 fanden in ganz Berlin Wahlen zum Abgeordnetenhaus statt, die der SPD eine herbe Enttäuschung brachten. Die CDU lag mit 40,4 % genau 10 Prozentpunkte vor der SPD mit der Folge, dass der frühere Westberliner Regierungschef Eberhard Diepgen in das Amt des Regierenden Bürgermeisters zurückkehrte. Sch. plädierte angesichts der schwierigen Aufgabe der Vereinigung sehr unterschiedlicher Stadthälften für eine handlungsfähige Regierung und damit für eine Große Koalition zwischen CDU und SPD, die dann auch gebildet wurde. Mit der Wahl war die Funktion eines Oberbürgermeisters von Ost-Berlin beendet. Sch. blieb als stellvertretender Präsident des Abgeordnetenhauses noch bis 1995 politisch tätig. Der späteren Koalition zwischen SPD und der PDS, Rechtsnachfolgerin der einstigen DDR-Regimepartei SED, stimmte der Ruheständler nur widerstrebend zu, hatte er sich der SED doch zeitlebens entzogen.

Familie

Am 29. Dez. 2003 ist Sch. in Berlin im Alter von 76 Jahren an den Folgen eines Herzinfarktes gestorben. Er war mit einer Ärztin verheiratet. Zu seinen Hobbys zählten neben dem Kochen das Rosenzüchten und die Pflege seines Waldgartens in Bernau.

Tino Schwierzina



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