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Michael Jürgs

Michael Jürgs

deutscher Journalist und Schriftsteller
Geburtstag: 4. Mai 1945 Ellwangen
Todestag: 4. Juli 2019 Hamburg
Nation: Deutschland - Bundesrepublik

Internationales Biographisches Archiv 01/2020 vom 31. Dezember 2019 (sb)


Blick in die Presse

Herkunft

Michael Jürgs wurde 1945 in Ellwangen geboren und wuchs in Harburg und Krefeld mit zwei Schwestern und einem Bruder auf. Sein Vater war Prokurist einer Ölfirma. Der jüngere Bruder, der an Schizophrenie erkankte, nahm sich als Jugendlicher das Leben.

Ausbildung

J. studierte nach dem Abitur auf dem Moltke-Gymnasium in Krefeld ab 1964 politische Wissenschaften, Germanistik und Geschichte in München (ohne Abschluss).

Wirken

Journalistische Karriere1965 fand J. über freie Mitarbeit und ein Volontariat bei der Münchner "Abendzeitung" (AZ) den Berufseinstieg als Journalist, brach dafür das Studium ab und avancierte bereits 1968 zum Feuilletonchef des Münchner Blattes. Von München wechselte J. 1973 nach Hamburg in die Entwicklungsabteilung des Verlagshauses Gruner + Jahr. 1976 wurde er Ressortleiter beim G+J-Magazin "stern", zu dessen Chefredakteur er 1986 avancierte (bis 1990). Nach seiner Überzeugung musste er wegen eines umstrittenen Editorials zur Wiedervereinigung unter dem Titel "Sollen die Zonis bleiben wo sie sind?" auf Druck von "stern"-Herausgeber Rolf Schmidt-Holtz den Chefredakteursposten verlassen. Insider behaupteten, der frühere Ressortleiter "Unterhaltung/Kultur" habe den Stellenwert des Epochenbruchs mit dem Fall der Berliner Mauer (9.11.1989) im "stern" zu wenig berücksichtigt (vgl. SZ Magazin, 20.2.1998). 1992 ging J. als Chefredakteur zum Hamburger Szene- und Zeitgeistmagazin "Tempo", das er 1994 nach Meinungsverschiedenheiten mit dem Verleger wieder verließ.

Bestseller-AutorNeben der journalistischen Tätigkeit, die auch die Co-Moderation einer NDR-Talkshow (1992-1994), Medienkolumnen (u. a. für "Die Woche", die "Süddeutsche Zeitung" und "Financial Times Deutschland") und Fernsehdokumentationen einschloss, machte sich J. als Autor von in viele Sprachen übersetzten Sachbüchern einen Namen. Er bewies nach Beobachtermeinung ein untrügliches Gespür für große Themen, die er geschickt in zumeist auch verfilmte Bestseller umzusetzen wusste. Nach dem Sylt-Band "Die Insel" (1978) und dem "Album der Beatles" (1980) veröffentlichte er mit dem "Fall Romy Schneider" (1991) die erste einer Reihe von hoch gelobten Biographien, mit denen er regelmäßig auf den SPIEGEL-Bestsellerlisten landete. Für Aufsehen gesorgt hatte auch ein von J. bereits 1981 mit der berühmten Schauspielerin geführtes Interview, das als Vorbild für den preisgekrönten Spielfilm "3 Tage in Quiberon" (2018) diente.

1995 folgte eine Biographie des Pressetycoons Axel Springer, die DIE ZEIT (4.8.1995) als "glänzend recherchiert" und "pointensicher geschrieben" lobte. 1997 erschien sein aufsehenerregendes Buch "Die Treuhändler", in dem er die Abwicklung der DDR-Wirtschaft und die Pleiten, Pannen und Zwänge der Privatisierung von Ex-Kombinaten schilderte. Als Autor eines Politthrillers debütierte er 1998 mit "Das Kleopatrakomplott" um einen fiktiven, am Tag der deutschen Einheit erschossenen Hamburger Vorsitzenden einer rechtsradikalen Partei mit Bundestagsambitionen.

J. begab sich 1999 unter dem Titel "Alzheimer" auf "Spurensuche im Niemandsland", amüsierte die Leser mit seiner Richard-Tauber-Biographie "Gern hab' ich die Frau'n geküsst" und legte im Herbst 2002 zum 75. Geburtstag des politisch engagierten Literaturnobelpreisträgers die erste deutschsprachige Biographie über Günter Grass vor. Es war nach Fritz J. Raddatz' Meinung (ZEIT, 12.10.2002) ein mit "Verve, Kenntnis und Teilnahme erarbeitetes Buch" entstanden, das die Süddeutsche Zeitung (9.10.2002) vor allem dort lesenswert nannte, wo der "Bürger Grass" "bundesrepublikanische Geschichte" geschrieben hat. Eine einmalige Verbrüderung zwischen Deutschen, Franzosen und Briten an der Westfront zu Weihnachten 1914 dokumentierte J. in seinem 2003 erschienenen Buch "Der kleine Friede im Großen Krieg", das ZEIT-Rezensent Volker Ullrich (17.12.2003) als "emphatischen, hinreißenden Bericht" über ein Wunder las, das sich wirklich zugetragen hat, während die Süddeutsche Zeitung (6.12.2003) J. den "derzeit vielleicht besten und vielseitigsten deutschen Sachbuchautor" nannte. Der Stoff wurde bald darauf mit Benno Fürmann und Daniel Brühl unter dem Titel "Merry Christmas" (2005) verfilmt.

Sein "stern-Trauma" konnte J. in seinem Sammelband "Der Tag danach. Vom Verlust der Macht und dem Ende einer Liebe, vom schnellen Tod und von einem neuen Leben. Deutsche Biographien" (2005) verarbeiten – neben 34 weiteren Schicksalsfällen meist prominenter Zeitgenossen. 2007 erschien eine Biographie über die Künstlerin Eva Hesse unter dem Titel "Eine berührbare Frau. Das traurige glückliche Leben der Künstlerin Eva Hesse". Das Ergebnis umfangreicher Recherchen nach dem Schicksal der jung verstorbenen Künstlerin, die als kleines Mädchen mit ihren Eltern aus Nazi-Deutschland nach New York geflohen war, wurde von der Kritik zwiespältig aufgenommen.

"Voll daneben" betitelte DIE ZEIT (28.4.2005) J.s selbst so benannte "längst fällige Abrechnung unter Brüdern und Schwestern" unter dem Titel "Typisch Ossi, typisch Wessi". Darin wartete der bekennende "Wessi" als Gegenpol seiner "Ossi"-Kollegin Angela Elis "mit Häme und platten Urteilen über die 'Zonis' und ihr selbst verschuldetes Schicksal auf". Dagegen lobte Gunter Hoffmann in der ZEIT (1.10.2008) J.s 2008 erschienene "Bilanz der Einheit" unter der Fragestellung "Wie geht's Deutschland" als Ergebnis einer "Inspektionsreise", die gerade durch die "naive Annäherung" an die prominenten und unbekannten Gesprächspartner ihren eigenen Reiz bekomme. Zusammen mit Claudia Bissinger wiederholte er diese journalistische Reise 2009 für einen Fernsehbeitrag. Aufsehen erregte seine 2009 publizierte Streitschrift "Seichtgebiete. Warum wir hemmungslos verblöden", in der er mit den "Blödmachern" im Privatfernsehen und unter Showleuten wie Dieter Bohlen oder Comedians wie Mario Barth abrechnete. "Jürgs ist ein Klartexter. Als Autor hat er schon oft bewiesen, dass klug und unterhaltsam zu schreiben kein Widerspruch sein muss", konstatierte stern.de (2.9.2009).

Präsent blieb J. als Autor zahlreicher Bücher, in denen er aktuelle Themen aufgriff, so in "BKA, Europol, Scotland Yard. Die Jäger des Bösen" (2011) oder "Sklavenmarkt Europa. Das Milliardengeschäft mit der Ware Mensch" (2014), in dem es v. a. um Zwangsprostitution geht. Mit dem Elend der Flüchtlinge, die in zunehmender Zahl nach Europa drängten, befasste er sich auch in Zeitungsartikeln (vgl. Hbl., 5.6.2015). Zwischendurch veröffentlichte der fleißige Schriftsteller und Rechercheur ein Buch unter dem Titel "Codename Hélène. Churchills Geheimagentin Nancy Wake und ihr Kampf gegen die Gestapo in Frankreich" (2012), in dem er eine der gefürchtetsten Agentinnen des britischen Geheimdienstes und ihren abenteuerlichen Lebenslauf würdigte, "auch ein Buch über die Geschichte der Nazis in Frankreich, über Kollaboration und Antisemitismus dort" (Hbg. Abl., 16.10.2012). "Er beherrscht sämtliche Spielarten seines Metiers, weil ihm eine Grundqualifikation zu eigen ist: Jürgs ist vorurteilsfrei und neugierig", schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung (4.5.2015) zu J.s 70. Geburtstag. Seine Publikationsliste sei "die eines Ruhelosen, den ein Einzelschicksal genauso packen kann wie ein großes Thema oder ein Trend" (FAZ, ebd.). In 25 Reportagen erzählte J. im 2015 veröffentlichten Band "Wer wir waren, wer wir sind. Wie Deutsche ihre Geschichte erleben" von Orten, an denen Deutsche die Geschichte ihres Landes erleben können, von Sylt bis zum Kölner Dom, vom DFB-Museum in Dortmund bis nach Wackersdorf. Dabei kritisierte die Süddeutsche Zeitung (8.9.2015) die "anbiedernde Leseransprache" und dass sich "der Autor bisweilen selbst in den Vordergrund schreibt". Autobiographisch geprägt ist auch J. "Liebeserklärung an aufregende Zeiten", so der Untertitel seines Buches "Gestern waren wir doch noch jung" (2017), in dem er seiner Generation der ersten Nachkriegsdeutschen ein Denkmal setzte und bisweilen die heutige Welt ob ihrer vermeintlichen Verrohung und digitalen Verblödung geißelte. Während des Wahlkampfs zur Bundestagswahl im Sept. 2017 veröffentlichte J. einen täglichen Fortsetzungsroman im Berliner "Tagesspiegel", in dessen Folgen er auch aktuelle Entwicklungen aufgriff und einbaute.

Den Plan, eine Romanbiographie über die Enkelin Theodor Fontanes zu verfassen, gab J. nach seiner Krebserkrankung im Frühjahr 2018 auf. Stattdessen schrieb er, wie er selbst sagte, "sein nun tatsächlich letztes Buch" (ZEIT, 17.9.2019). "Post Mortem. Was ich nach meinem Tod erlebte und wen ich im Jenseits traf" erschien kurz nach J.s Tod im Juli 2019. "Die ZEIT" (ebd.) lobte J. als herausragenden Erzähler und nannte dieses fantastisch anmutende und sehr persönliche Werk, in dem auch J.s lange verstorbener Bruder zu Wort kommt, "ein wunderbares Buch".

Familie

In der Nacht auf den 5. Juli 2019 starb J. im Alter von 74 Jahren in Hamburg. Im Jahr davor hatte er seine Erkrankung an Bauchspeicheldrüsenkrebs bekanntgegeben. Neben seiner Frau, mit der er beinahe 50 Jahre verheiratet war, hinterließ er seinen Sohn, Florian, der Gründer und Betreiber einer Event-Agentur wurde.

Werke

Veröffentlichungen u. a.: "Die Insel" (78), "Das Album der Beatles" (80), "Der Fall Romy Schneider" (91), "Der Fall Axel Springer" (95), "Die Treuhändler" (97), "Das Kleopatrakomplott" (98), "Alzheimer. Spurensuche im Niemandsland" (99), "Gern hab' ich die Frau'n geküsst. Eine Richard-Tauber-Biographie" (00), "Bürger Grass. Biographie eines deutschen Dichters" (02), "Keine Macht den Drogen" (02), "Der Tag danach. Vom Verlust der Macht und dem Ende einer Liebe, vom schnellen Tod und von einem neuen Leben. Deutsche Biographien" (05), "Eine berührbare Frau. Das traurige glückliche Leben der Künstlerin Eva Hesse" (07), "Wie geht's, Deutschland? Populisten, Profiteure, Patrioten. Eine Bilanz der Einheit" (08), "Seichtgebiete. Warum wir hemmungslos verblöden" (09), "BKA, Europol, Scotland Yard. Die Jäger des Bösen" (11), "Codename Hélène. Churchills Geheimagentin Nancy Wake und ihr Kampf gegen die Gestapo in Frankreich" (12), "Sklavenmarkt Europa. Das Milliardengeschäft mit der Ware Mensch" (14), "Wer wir waren, wer wir sind. Wie Deutsche ihre Geschichte erleben" (15), "Gestern waren wir doch noch jung. Eine Liebeserklärung an aufregende Zeiten" (17) "Post mortem. Was ich nach meinem Tod erlebte und wen ich im Jenseits traf" (19; posthum);

Filme u. a.: "Der große Zampano - Wer war Leo Kirch?" (17; zus. mit Berthold Baule).

Auszeichnungen

Auszeichnung: Theodor-Wolff-Preis des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger für das journalistische Lebenswerk (19).



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