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Leonid Kutschma

Leonid Kutschma

ukrainischer Ingenieur und Politiker; Ministerpräsident (1992-1993); Staatspräsident (1994-2005); Dr.-Ing.
Geburtstag: 9. August 1938 Tschajkine
Nation: Ukraine

Internationales Biographisches Archiv 17/2005 vom 30. April 2005 (ne)
Ergänzt um Nachrichten durch MA-Journal bis KW 20/2014


Blick in die Presse

Herkunft

Leonid Danilowitsch Kutschma wurde am 9. Aug. 1938 in Tschajkine (Tschaikino) im Gebiet Tschernihiv (Tschernigow), nördlich von Kiew, als Sohn eines Bauern geboren. Sein Vater starb 1944 im Zweiten Weltkrieg. Seine Muttter arbeitete in einer Kolchose.

Ausbildung

K. studierte bis 1960 Mechanik und Ingenieurwesen an der Universität von Dnipropetrowsk. Sein Fachgebiet war Raketentechnik. Er promovierte zum Dr.-Ing.

Wirken

K. war nach Abschluss des Studiums bis zum Einstieg in die Politik im Betrieb des Maschinenbaukombinats "Piwdenne" tätig. Er begann als Ingenieur, später Oberingenieur und wurde schließlich ein maßgebender Konstrukteur in diesem Betrieb. Er arbeitete sowohl im Konstruktionsbüro (KB) "Piwdenne" als auch in der Betriebsvereinigung "Piwdenyj maschynobudiwnyj sawod". "Piwdenne" oder auch "Juschmasch" (Südliches Maschinenbauwerk) war in den Glanzzeiten der Sowjetunion der größte staatliche Rüstungskonzern, der Raketen für die Weltraumfahrt und strategische Atomwaffen (SS-18 und SS-20) entwickelte und baute. In diesem Zusammenhang arbeitete K. auch im sowjetischen Raketen- und Raumfahrtzentrum Baikonur.

1975-1981 war K. Parteisekretär des KB Piwdenne, danach bis 1982 Parteisekretär der Produktionsvereinigung. 1982 wurde er Erster Stellvertreter des Chefkonstrukteurs und im Sept. 1986 Generaldirektor der Betriebsvereinigung mit insgesamt etwa 50.000 Beschäftigten (bis 1992). Im März 1990, also noch vor dem Zerfall der Sowjetunion, wurde er als Abgeordneter der Stadt Dnipropetrowsk in den Obersten Sowjet (Rat) der Ukraine gewählt.

Im Zuge der politischen Veränderungen innerhalb der Sowjetunion ging die Ukraine unter Führung des einstigen stellv. Parteichefs und Parlamentspräsidenten (seit Juli 1990), Leonid Krawtschuk, konsequent auf Unabhängigkeitskurs und erklärte am 24. Aug. 1991 - nach dem (missglückten) Moskauer Putsch - ihre Unabhängigkeit. Am 1. Dez. wurde Krawtschuk mit 61 % der Stimmen zum Staatspräsidenten gewählt. Die Ukraine beteiligte sich zwar nach dem Ende der Sowjetunion an der Bildung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), hat aber stets mit Misstrauen auf Unabhängigkeit gegenüber dem großen Nachbarn Russland beharrt.

Die Euphorie nationaler Unabhängigkeit verdeckte nur kurze Zeit die schwierigen innen- und wirtschaftspolitischen Probleme. Es kam weder zu Parlamentsneuwahlen noch zu durchgreifenden wirtschaftlichen Reformen. Unter Ministerpräsident Witold Fokin blieb die alte Mannschaft im Amt, und erst nach lähmenden Auseinandersetzungen zwischen Parlament und Regierung wurde Fokin am 30. Sept. 1992 zum Rücktritt gezwungen. K. wurde sein Nachfolger als Regierungschef.

K. konstatierte nach der Amtsübernahme, dass er das Ausmaß der wirtschaftlichen Probleme der Ukraine unterschätzt habe. In der Zeit zwischen Jan. und Nov. 1992 stiegen die Lebenshaltungskosten um das 22-fache, und das Bruttonationaleinkommen ging um 18 % zurück. Grundlegender Wandel war auch von dem gemäßigten Reformer K. nicht zu erwarten, doch trat er für eine schrittweise Privatisierung von Grund und Boden ein. Die in ihn gesetzten Erwartungen scheiterten jedoch an dem Hickhack zwischen den Staatsorganen und mangelnder Reformbereitschaft der alten Kader, u. a. auch der Industriebosse. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten verschärften sich vor allem auf dem Energiesektor durch den Geldwertschwund der Hilfswährung Karbowanez, durch die harten Forderungen Russlands in der Frage von Gas- und Öllieferungen und durch das Ausbleiben ausländischer Investitionen und Kredite angesichts mangelnden Reformwillens. Am 21. Sept. 1993 trat K. als Regierungschef zurück und wurde wenig später Präsident der Ukrainischen Union der Industriemanager und Unternehmer.

Bei den Präsidentenwahlen vom 26. Juni/10. Juli 1994 trat K. als einziger ernsthafter Herausforderer Präsident Krawtschuks auf. In K.s Programm war eine weitgehende wirtschaftliche Integration mit Russland und weiteren GUS-Staaten der zentrale Punkt. Im ersten Wahlgang lag Krawtschuk mit 37,7 % noch vor K. (31,3 %). Im zweiten Wahlgang, der Stichwahl, distanzierte K. jedoch Krawtschuk deutlich mit 52,1 % gegen 45,5 %. Am 19. Juli 1994 trat er sein Amt als Präsident an.

Beide Wahlgänge offenbarten eine tiefe Kluft zwischen der Westukraine der Mitte und dem Osten des Landes. Während Krawtschuk z. B. im Gebiet L'viv (Lwow/Lemberg) auf 94 % kam, erreichte K. im Gebiet Luhansk und auf der Krim 90 %, im Bergbaurevier Donezk etwa 80 %. K. übernahm die Führung eines Landes mit einer zerrütteten Finanzlage. Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung lagen nahe bei 40 %, die Inflationsrate erreichte 1993 4.000 % (!). Um diese Entwicklung zu stoppen, vereinbarte K. mit dem Chef des Int. Währungsfonds (IWF), Michel Camdessus, ein Entwicklungsprogramm unter dem Titel: "Pfad der radikalen Wirtschaftsreformen", und berief den Radikalreformer Wiktor Pinsenik zum Ersten Vizeministerpräsidenten. Nach dem Programm sollten 3/4 aller Staatsbetriebe privatisiert werden und ebenso die Staatsgüter in private Hände kommen. Mit seinem Privatisierungsplan stieß K. jedoch auf erhebliche Kritik und Widerstand und geriet in einen Dauerclinch mit dem überwiegend reformunwilligen Parlament (Werchowna Rada). Probleme gab es immer wieder bei der Ernennung der Regierungschefs, etwa beim Wechsel von Witalij Masol zu Jewgenij Martschuk im März 1995 (bestätigt erst am 8.6.1995).

Außenpolitisch bemühte sich K. um westliches Vertrauen, indem er auf die rund 1.600 Atomsprengköpfe verzichtete und den am 5. Dez. 1995 unterzeichneten Atomwaffensperrvertrag durch das Parlament ratifizieren ließ. Eine Woche später erreichte K. bei einem Besuch Präsident Clintons in den USA eine Aufstockung der Wirtschafts- und Abrüstungshilfe auf insgesamt 900 Mio. US$. K. bemühte sich auch um eine Einbindung der Ukraine in das westliche Staatensystem. Im Herbst 1995 wurde (nach Abschaffung der Todesstrafe) die Ukraine Mitglied des Europarats. Die Ukraine war auch das erste osteuropäische Land, das der NATO-Partnerschaft für Frieden beitrat und zum 1. Juni 1996 den Abzug aller Atomwaffen von seinem Territorium bekannt gab. Ebenfalls im Juni 1996 wurde mit Polen eine "strategische Partnerschaft" und die Aufhebung der Visumpflicht vereinbart. Trotz aller Forschritte blieben jedoch schwer lösbare Probleme: Investitionen aus dem Ausland kamen nur spärlich, das Steueraufkommen blieb niedrig, und die Privatisierung kam nur langsam voran. Auch in der Bevölkerung nahm die Ungeduld über die schlechte Versorgungslage und immer wieder ausstehende Löhne zu, was im Bergarbeiterstreik im Juli 1996 besonders deutlich wurde. Mehrfach beklagte K. die Zurückhaltung des Westens in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Mit Walerij Pustowojtenko als Premier wurde im Juli 1997 ein neuer Anlauf aus der Krise gestartet, die sich durch die Regierung des unter Korruptionsverdacht abgetretenen Pawlo Lasarenko weiter verschärft hatte. Dennoch suspendierte die Weltbank am 1. Aug. 1997 zugesagte Finanzhilfen in Höhe von 317 Mio. US$.

Ungeachtet des Strebens nach Einbindung in westliche Bündnisse, mühte sich K. auch um gute Beziehungen zu Russland. Treffen mit dem russischen Präsidenten Boris Jelzin zur Regelung der Besitzverhältnisse an der Schwarzmeerflotte (Stützpunkt: Sewastopol auf der Krim) im Jan. 1995, Okt. 1996 und Febr. 1998 endeten zunächst ohne abschließendes Ergebnis. Erst am 24. März 1999 ratifizierte das Parlament den Freundschafts- und Partnerschaftsvertrag Russlands mit der Ukraine, demzufolge Moskau auf Ansprüche auf die Krim und Sewastopol verzichtete, die Flotte geteilt und Sewastopol auf 20 Jahre an Russland verpachtet wurde.

Als ein politisches Dauerproblem in der Innenpolitik erwies sich die überaus schwerfällige und komplizierte Verfassung, die dazu führte, dass die Ukraine zur Komplettierung ihres Parlaments zahlreiche Nachwahlen zwischen 1994 und 1996 benötigte. K. war von 1994 bis 1996 Co-Vorsitzender der Kommission zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung, die im Juni 1996 verabschiedet wurde. U. a. sicherte diese dem Präsidenten weitgehende Vollmachten. Der Streit zwischen Präsident und dem zeitweise arbeitsunfähigen Parlament, in dem die Kommunisten seit den Wahlen Ende März 1998 mit 113 der 450 Mandate die mit Abstand größte Fraktion bildeten, setzte sich fort. K.s ohnehin halbherzige Reformen, insbesondere die Privatisierung, wurden weiter ausgebremst. K. reagierte, indem er - wie schon mehrfach - mit Notdekreten am Parlament vorbei regierte.

Im Vorfeld der Präsidentenwahlen 1999 kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Kandidaten und einem Mordanschlag auf die oppositionelle Kandidatin Natalja Witrenko. K., ohnehin kein Vorzeigedemokrat, mobilisierte den Verwaltungsapparat für sich, übte Druck auf kritische Medien aus und setzte auf die Unterstützung der vier wichtigsten TV-Kanäle. Er erreichte auch die Unterstützung der wichtigsten Öl-, Gas- und Finanzmogule. K. gewann im zweiten Wahlgang am 14. Nov. 1999 mit 56,25 % der Stimmen gegen den Kandidaten der Kommunisten Petro Simonenko (37,8 %). Am 30. Nov. 1999 wurde er für eine zweite Amtszeit vereidigt. K. versprach ein weiteres Mal baldige Reformen und den Kampf gegen die wuchernde Korruption. Die Bestätigung von Ministerpräsident Pustowojtenko lehnte das Parlament ab, worauf der bisherige Präsident der Nationalbank Wiktor Juschtschenko Regierungschef wurde. Im April 2000 sprach sich bei einem von K. initiierten Referendum eine große Mehrheit der Bevölkerung (rd. 80 %) für Verfassungsänderungen aus, die dem Präsidenten mehr Machtbefugnisse zu Lasten des Parlaments einräumen sollten. K. begründete seinen Vorstoß mit der anhaltenden Blockadepolitik des Parlaments (vgl. SPIEGEL-Gespräch, 28/00).

Der politische Skandal um die mutmaßliche Ermordung des regierungskritischen Journalisten Georgij Gongadse brachte K. ab Ende des Jahres 2000 zunehmend in Bedrängnis. Gongadse war seit dem 16. Sept. 2000 spurlos verschwunden. Mitte November war eine Leiche ohne Kopf gefunden und als Leiche Gongadses identifiziert worden. K. war unter Dauerfeuer, als der Oppositionspolitiker Oleksander Moros (ein unterlegener Präsidentschaftskandidat) Tonband-Aufzeichnungen vorlegte, die beweisen sollten, dass K. bei der Entführung und Ermordung Gongadses seine Hand im Spiel gehabt habe, was K. vehement bestritt. Demonstranten forderten Aufklärung und den Rücktritt K.s, der seinerseits den umstrittenen Geheimdienstchef Leonid Derkatsch entließ. Allerdings zeigte sich die Opposition gegen K. zerstritten.

Anfang 2001 führte die Entlassung der Vizeministerpräsidentin Julia Tymoschenko (zuständig für Energiefragen) zu einer innenpolitischen Krise. Tymoschenko, die wegen angeblicher Urkundenfälschung und Unregelmäßigkeiten bei dem von ihr bis 1997 geleiteten Multikonzern "Vereinigte Energiesysteme der Ukraine" (EESU) angeklagt wurde, sprach von einer politischen Intrige und positionierte sich seither als potente Gegnerin K.s. Im April 2001 wurden Regierungschef Juschtschenko und der seit 1995 amtierende Innenminister Krawtschenko als Folge eines Misstrauensvotums zum Rücktritt gezwungen. Neuer Regierungschef wurde Ende Mai 2001 der Industrielle Anatolij Kinach, der Juschtschenkos wirtschaftspolitischen Reformkurs aber fortsetzte.

Im Jahr 2000 hatte die Ukraine erstmals seit 1991 eine Wachstumsrate von 6 % verzeichnet, 2001 stieg sie sogar auf 9 %. Die Inflationsrate konnte auf 6,1 % gedrückt werden. Im Dez. 2000 war im Gegenzug gegen wirtschaftliche Hilfeleistungen des Auslands das Atomkraftwerk Tschernobyl endlich abgeschaltet worden. K. setzte allerdings weiter auf Kernkraft. Internationales Aufsehen erregte der irrtümliche Abschuss einer mit 78 Menschen besetzten russischen Tupolew-154 am 4. Okt. 2001 durch eine ukrainische Manöverrakete. Verteidigungsminister Kusmuk und hohe Militärs mussten den Hut nehmen.

Aus den Parlamentswahlen am 31. März 2002 ging Juschtschenkos Wahlbündnis "Unsere Ukraine" mit 23,6 % als Zweitstimmensieger hervor. An zweiter Stelle lagen die Kommunisten (20,3 %) vor dem K. nahe stehenden Bündnis "Für eine vereinte Ukraine" (Sajedu) mit 12,5 %. Durch die große Anzahl von Direktmandaten und starke (teilweise angeblich erzwungene) Zugänge unabhängiger Abgeordneter wurde Sajedu schließlich dennoch stärkste Fraktion. Stimmen aus Opposition und Ausland beschuldigten die Wahlkommission massiver Fälschung zu Gunsten K.s. Als Erfolg für K. galt die Wahl des früheren Chefs der Präsidialverwaltung, Wolodymyr Litwin, zum Parlamentspräsidenten. Im Sept. 2002 begannen Protestaktionen gegen K., doch gelang es diesem erneut, die Opposition zu spalten. Mit der Gruppe um Juschtschenko einigte sich das Präsidentenlager auf die Bildung einer "Koalition der demokratischen Kräfte". Weil es die Regierung nicht geschafft hätte, soziale Probleme im Land zu lösen, entließ K. im Nov. 2002 die Regierung Kinach und schlug den Gouverneur des ostukrainischen Industriegebietes Donezk, Wiktor Janukowytsch, als neuen Ministerpräsidenten vor.

In der Folgezeit kam es im Parlament immer wieder zu Auseinandersetzungen über eine von K. initiierte Verfassungsänderung, die vorsah, dass der Präsident künftig vom Parlament statt vom Volk gewählt werden und weniger Befugnisse erhalten sollte und die Rechte des Parlaments gestärkt werden sollten. Die Opposition, die genau das lange gefordert hatte, wertete K.s Vorschlag als Täuschungsversuch, der ihm auch nach Ablauf seiner Amtszeit die Macht sichern sollte. Nach heftigen Protesten der Opposition und des Europarats nahm K. schließlich von der Idee einer Präsidentenwahl durch das Parlament Abstand. Im April 2004 lehnte das Parlament schließlich überraschend in der entscheidenden dritten Lesung K.s gesamte Verfassungsreform ab.

In K.s Amtszeit konnten einige Grenzstreitigkeiten mit Nachbarländern beigelegt werden. Anfang 2003 unterzeichneten K. und der russische Präsident Wladimir Putin einen Vertrag über den Verlauf der Grenze zwischen den beiden Staaten. Allerdings kam es im Okt. 2003 erneut zu einem Grenzstreit, bei dem die Ukraine Russland vorwarf, durch einen Dammbau zur Insel Tusla in der Meerenge von Kertsch (Asowsches-/Schwarzes Meer) ihr Territorium zu verletzen. Tusla sichert der Ukraine die Kontrolle über den Zugang zu den Ölfeldern im Asowschen Meer. In der Ukraine kam es daraufhin zu anti-russischen Demonstrationen. Erst im April 2004 ratifizierten das ukrainische und das russische Parlament zwei Grenzabkommen, in denen die Landesgrenze zwischen den beiden Staaten festgeschrieben bzw. ein Rahmenabkommen für die umstrittene Grenze im Asowschen Meer und in der Meerenge von Kertsch getroffen wurden. Auch mit Rumänien schloss K. einen Grenzvertrag, womit beide Länder einen seit Jahrzehnten schwelenden Streit über die Schwarzmeerinsel Smeinji beilegten. Die Insel, auf der reiche Öl- und Gasreserven vermutet werden, ging in den Besitz der Ukraine über, die sich im Gegenzug verpflichtete, dort keine Angriffswaffen zu stationieren.

Außen- und wirtschaftspolitisch spielte das Verhältnis zu Russland nach wie vor eine herausragende Rolle. U. a. sorgte Russland dafür, dass K. Anfang 2003 Vorsitzender des Rates der Staatspräsidenten der GUS wurde, ein Amt, das zuvor stets das russische Staatsoberhaupt inne hatte. Im Sept. des Jahres unterzeichneten Russland, die Ukraine, Belarus und Kasachstan bei einem Gipfeltreffen in Jalta ein Abkommen über einen gemeinsamen Wirtschaftsraum. Im Juli 2004 vereinbarten Putin und K. zudem eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit ihrer Länder. Die Ukraine hatte kurz zuvor die Passage, in der die Mitgliedschaft in NATO und EU als strategisches Ziel bezeichnet wurde, aus ihrer Militärdoktrin gestrichen, was nach Ansicht von Beobachtern mit der Enttäuschung über das geringe Interesse dieser Institutionen an der Ukraine zusammenhing. Andererseits suchte K. aber auch weiterhin Annäherung an den Westen. So schloss sich die Ukraine der sog. "Koalition der Willigen" an, die die USA Anfang 2003 beim Dritten Golfkrieg gegen den Irak unterstützten. Im Juni 2003 entsandte die Ukraine ca. 1.700 Soldaten in den Irak, nachdem das Regime von Saddam Hussein durch amerikanische Streitkräfte und ihre Verbündete zu Fall gebracht worden war. Nach einer schweren Explosion, bei der acht ukrainische Soldaten im Irak ums Leben gekommen waren, dekretierte K. Anfang Jan. 2005 den Rückzug der ukrainischen Truppen aus dem Irak bis Mitte 2005.

Bei den für Ende Okt. 2004 angesetzten Präsidentschaftswahlen verzichtete K. - nicht zuletzt auf Grund des internationalen Drucks - auf eine erneute Kandidatur. Das Verfassungsgericht hatte ihm zuvor eine mögliche dritte Amtszeit zugebilligt, obwohl die Verfassung nur zwei Amtsperioden vorsieht. K. stellte sich dann hinter die Kandidatur des amtierenden Ministerpräsidenten Janukowytsch, der auch von Russland massiv unterstützt wurde. In der ersten Runde der Präsidentenwahl am 31. Okt. 2004 gewann der Oppositionskandidat Juschtschenko knapp mit 39,87 % der Stimmen vor Janukowytsch (39,32 %). Beide Lager erklärten ihren Kandidaten zum Sieger und warfen der Gegenseite Wahlfälschung vor. Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bestätigten, dass die Wahl internationalen Standards nicht genügt habe. Juschtschenko hatte schon im Frühjahr 2004 die Unterdrückung unabhängiger Medien durch die Regierung beklagt.

Die Stichwahl am 21. Nov. 2004 führte das Land dann in eine schwere Krise. Die zentrale Wahlkommission verkündete am 22. Nov. den Wahlsieg von Janukowytsch (49,5 %) vor Juschtschenko (46,6 %). Juschtschenko hatte dagegen massive Wahlmanipulationen beklagt und auch westliche Wahlbeobachter formulierten scharfe Kritik. EU-Ratspräsident Jan Peter Balkenende betonte, dass die Wahl internationale Standards für freie und faire Wahlen nicht erfüllt habe. In Kiew protestierten Hunderttausende gegen den Wahlsieg Janukowytschs, kündigten eine Kampagne zivilen Ungehorsams an und begannen eine Blockade der Regierungsgebäude. Gut zwei Wochen setzten sich die friedlichen Massenproteste, die "Orangene Revolution", wie sie nach der dominierenden Farbe der Juschtschenko-Kampagne genannt wurde, fort. K. hielt in dem Konflikt lange an seinem Kandidaten Janukowytsch fest. Als dieser allerdings für den Fall eines Sieges der Opposition mit einer Abspaltung der Russland-freundlichen Ostukraine drohte, ging K. auf Distanz und nannte eine Spaltung des Landes "nicht hinnehmbar". Am 3. Dez. 2004 annullierte das Oberste Gericht der Ukraine offiziell die 2. Runde der umstrittenen Wahl und ordnete eine Wahlwiederholung an. K. hatte eine komplette Wiederholung der Wahl in größerem zeitlichen Abstand angestrebt. Wenige Tage später stimmte das Parlament mit 402 von 450 Stimmen einem zuvor von Regierung und Opposition ausgehandelten Kompromiss über Verfassungs- und Wahlrechtsänderungen zu, wodurch u. a. die Machtbefugnisse eines künftigen Präsidenten beschnitten (ab Herbst 2005) und die Möglichkeit des Wahlbetrugs eingeschränkt wurden. Bei der Wiederholung der Stichwahl am 26. Dez. setzte sich Juschtschenko mit 51,99 % der Stimmen klar gegen Janukowytsch durch, der auf 44,20 % kam. Juschtschenko wurde am 23. Jan. 2005 als neuer Staatspräsident vereidigt. Neue Ministerpräsidentin wurde am 4. Febr. 2005 die K.-Gegnerin Julia Tymoschenko, die sogleich eine noch von der alten Regierung getroffene Regelung rückgängig machte, die K. ein luxuriöses Leben auf Staatskosten garantiert hätte: Neben einer großzügigen Pension waren ihm zwei Dienstwagen, Berater, Leibwächter, eine große Wohnung, eine Datscha und weitere Vergünstigungen zugesprochen worden. Tymoschenko ließ stattdessen ein gekürztes Ruhestandspaket für ihn erarbeiten. Außerdem kündigte die Ministerpräsidentin die Überprüfung von fragwürdigen Privatisierungen der letzten vier Jahre an, bei denen vor allem Gefolgsleute K.s für wenig Geld bedient worden seien. Betroffen von einer solchen Überprüfung wären auch Investitionen von K.s Schwiegersohn Wiktor Pintschuk.

Juschtschenko veranlasste bald nach seiner Amtsübernahme eine neue Untersuchung des Mordfalls Gongadse durch die Generalstaatsanwaltschaft. Anfang März erkärte er, dass der Mord an Gongadse als aufgeklärt gelten könne, drei unmittelbare Tatbeteiligte seien gefasst worden; die alte Regierung habe die Auftraggeber der Tat gedeckt. Kurz darauf verübte der vermutlich in die Entführung verwickelte ehemalige Innenminister Jurij Krawtschenko wenige Stunden vor seiner geplanten Vernehmung Selbstmord. In seinem Abschiedsbrief hatte Krawtschenko seine Unschuld versichert und erklärt, dass er ein „Opfer der politischen Intrigen von K. und dessen Umgebung“ geworden sei. K. sagte wenige Tage später selbst vor dem Generalstaatsanwalt aus. Er betonte erneut, dass er für den Tod des Journalisten keine Verantwortung trage.

22. März 2011: Nach Medienberichten haben die ukrainischen Strafverfolgungsbehörden gegen den früheren Präsidenten Leonid Kutschma ein Verfahren im Zusammenhang mit der Ermordung des Journalisten Georgi Gongadse eröffnet und gegen ihn ein Ausreiseverbot verhängt.

14. Dezember 2011: Ein Gericht in der ukrainischen Hauptstadt Kiew stellt den Prozess gegen den früheren Staatspräsidenten Leonid Kutschma, der beschuldigt worden war, in den Mord an dem Journalisten Georgi Gongadse verwickelt gewesen zu sein, aus Mangel an Beweisen ein. Das Gericht lehnt die Verwendung von heimlichen Tonaufnahmen als Beweismittel ab, da sie illegal erstellt worden seien. Regierungskritiker hatten von vornherein geglaubt, dass nie wirklich eine Verurteilung Kutschmas ins Auge gefasst worden sei.

14. Mai 2014: In Kiew findet ein erstes Treffen eines Runden Tisches zur Lösung der Ukraine-Krise statt. Es wird von Übergangspräsident Olexandr Walentynowytsch Turtschynow zusammen mit den Ex-Präsidenten Leonid M. Krawtschuk und Leonid Kutschma geleitet. Als Ko-Vorsitzender fungiert auf Wunsch der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) der deutsche Diplomat Wolfgang Ischinger. Turtschynow bekräftigt die Bereitschaft zum Dialog mit Vertretern der Regionen, weist die Forderung nach einer Beteiligung prorussischer Separatisten aber zurück. Unterdessen hat sich die Situation in der Stadt Mariupol, aus der noch am Wochenende blutige Gefechte gemeldet worden sind, offenbar beruhigt, wofür Beobachter ein Eingreifen des Oligarchen Rinat Achmetow verantwortlich machen, der als Besitzer der örtlichen Stahlwerke mit rund 46.000 Beschäftigten über entsprechende Macht und das Personal verfügt.

Familie

K. ist mit Ludmila Mikolajowna verheiratet. Das Paar hat eine Tochter Olena, die als Ökonomin tätig wurde. Sie ist mit Wiktor Pintschuk verheiratet, der als einer der großen Oligarchen im Stahl- und Pipeline-Bereich gilt, und der auch diverse Medienunternehmen besitzt.

Werke

Veröffentlichungen: "Werju w ukrainskyj narod" (Ich glaube an das ukrainische Volk; 00), "Pro najgolownische" (Über das Wichtigste; 01), "Ukraina - ne Rosija" (Die Ukraine ist nicht Russland; 03), "Swoim schljachom. Rozdumy pro ekonomitschni reformy w Ukraini" (Dem eigenen Weg folgen: Gedanken über Wirtschaftsreformen in der Ukraine; 04).

Auszeichnungen

Auszeichnungen: Orden des Roten Arbeiterbanners (76), Leninpreis (79), Staatspreis der Ukraine für Wissenschaft und Bildung (93), Goldener Orden von Prinz Wolodymir, 1.Klasse (99), Orden "Bethlehems Goldener Stern" (00), Orden der Republik Moldau (03), Ehrenzeichen der GUS (04); mehrere Ehrendoktorate u. a. von der Staatsakademie für Verwaltungswissenschaften der Ukraine und der Moskauer Lomonossow-Universität.

Adresse

c/o Ukrainian Presidential Fund of Leonid Kuchma Charity Organization, vul. P. Orlyka 1/15, 01024 Kiew, Ukraine, Tel.: +380 44 4659370, E-Mail: press@ldk-fund.org.ua, Internet: www.kuchma.org.ua



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